Bienen-Vielfalt statt Konkurrenz-Denken

Ca. 80 % der heimischen Blütenpflanzen-Arten sind auf die Bestäubung durch Insekten
angewiesen. Aufgrund ihres Körperbaus und ihrer Lebensweise kommt der Honigbiene bei der
Bestäubung eine ganz besondere Rolle zu. Doch auch Wildbienen (Hummeln und Solitärbienen)
machen sich insbesondere bei Pflanzen, die von Honigbienen weniger beachtet werden, nützlich.
Hinzu kommen Schmetterlinge, Käfer, Wespen, Fliegen und andere. Doch für viele wildlebende
Insekten wird ebenso wie für Honigbienen das Überleben immer schwieriger und bedarf
entsprechend wirksamer Schutzmaßnahmen – so wie sie die Honigbienen durch Einzelpersonen
bereits seit Jahrtausenden genießen. Unbestritten entwickelte sich diese Fürsorge aufgrund der
einzigartigen Fähigkeit, zur Ernährung des Menschen (Honig, Pollen, Brut), zu dessen medizinischer
Versorgung (Honig, Pollen, Propolis, Gelee royale, Bienengift, Bienenwachs), zur einfach
handhabbaren Beleuchtung (Bienenwachs) und damit zur Entwicklung der menschlichen Gesellschaft
beizutragen. Allerdings: Diese Fürsorge setzte erst ganz allmählich ein, nachdem die Menschen
sesshaft geworden waren, während zuvor die Bienenvölker in meist tödlicher Art und Weise geplündert
wurden.

Dieser traditionsreiche Schutz der Honigbienen verleitet manchen Mitbürger dazu, den wirtschaftlichen
Nutzen der Bienenhaltung isoliert zu betrachten. So wird mitunter behauptet, die Honigbiene stehe in
Konkurrenz zu den Wildbienen und würde sie verdrängen. Das ist so platt formuliert falsch. Dass es
in Einzelfällen durch widrige Umstände nicht für alle am selben Ort und zu jeder Zeit ausreichend
Nahrung gibt, ist dagegen in der Natur nicht ungewöhnlich. Hier sollten ggf. aber die Ursachen, nämlich
der Verlust an Nahrungs- und Nistmöglichkeiten, behoben und nicht die Symptome bekämpft werden.
Zudem kommt es auf ein ganzheitliches Verständnis der Zusammenhänge in der Natur an. Doch weit
verbreitete Intoleranz und Respektlosigkeit gegenüber anderen als den individuell bevorzugten
Lebewesen führen zu einseitigen Betrachtungsweisen und stehen einem ganzheitlichen Natur- und
Umweltschutz entgegen: Honigbienen und Pflanzen haben sich schließlich im Laufe der Evolution
einander angepasst – und dass schon bevor es den Menschen gab, der sie später in seine Obhut
nahm. Bereits vor mehr als 10.000 Jahren, als sich Europa nach der letzten Eiszeit wieder erwärmte,
dehnten sich die Wälder vom Mittelmeerraum gen Norden bis nach Skandinavien aus – und mit ihnen
die Honigbienen. Gerade heute ist es den Imkern zu verdanken, dass es noch Honigbienen gibt. Denn
ohne Imker würde es den Honigbienen noch schlechter gehen als den Wildbienen. In unserer
ausgeräumten Kulturlandschaft finden Honigbienen in aller Regel keine geeigneten, ausreichend
großen Nisthöhlen mehr. Hinzu kommen der bereits beschriebene zeitweilige Nahrungsmangel sowie
im Zuge der Globalisierung eingeschleppte Parasiten. Auch die Gefährlichkeit von Industrieabgasen
und Pflanzenschutzmitteln für Nichtzielorganismen wurde zunächst von Imkern erkannt und seit den
1920er Jahren von (Honig-)Bieneninstituten geprüft. Die daraus resultierenden Änderungen in den
Zulassungsverfahren sind mit ziemlicher Sicherheit nicht nur den Honigbienen, sondern auch vielen
anderen Organismen zugute gekommen.

Dass Honigbienen und Wildbienen natürlicherweise nicht in tödlicher Konkurrenz stehen, lässt sich
zudem biologisch erklären: Im Gegensatz zu allen anderen Bienenarten zeichnen sich Honigbienen
durch eine ganzjährig soziale Lebensweise aus, d. h. sie überwintern als Volk. Da sie den Winter aber
nicht schlafend, sondern ruhend verbringen, zeitweilig sogar brüten, müssen sie im Inneren des
Wintersitzes mindestens 20°C erzeugen, für die Brut sogar 35°C. Dazu benötigen die Honigbienen
reichend Brennstoff, nämlich Honig. Um ausreichend Honigvorräte anzulegen, nutzen sie bevorzugt
Massentrachten. Und wo Bienenvölker mit einem individuellen Jahresbedarf von 50 kg Pollen und 70
kg Honig noch einen deutlichen Überschuss erzeugen, kann die Nahrung für einzeln lebende
Wildbienen mit einem Bedarf von 1 – 10 g Pollen für die Aufzucht der Nachkommen nicht zu knapp
sein.

Honigbienen arbeiten höchst ökonomisch nach folgender Strategie: Einzelne Bienen fliegen aus und
suchen Nektar und Pollen. Finden sie wenig, bestäuben sie dabei die gefundenen Blüten, damit diese
Samen bilden und sich vermehren können. Erst, wenn die Bienen reichlich Nahrung vorfinden, teilen
sie dies im Stock mit und rekrutieren so weitere Arbeiterinnen für die effektive Nutzung des zeitlich
begrenzt verfügbaren Nahrungsangebotes.

Allein aufgrund der großen Anzahl Bienen in einem Volk fressen sie also keineswegs einzeln (solitär)
lebenden Bienen die Nahrung weg. Stattdessen gibt es unter den Wildbienen konkurrenzstarke Arten
wie die Große bzw. Garten-Wollbiene (Anthidium manicatum), die ihr Nahrungsrevier, z. B. einen
Strauch, vehement gegen andere Blütenbesucher erfolgreich verteidigen – auch gegen Honigbienen.
Aber auch durch andere Wildbienen lassen sich Honigbienen leicht stören, was zu einem stärkeren
Wechsel zwischen den Pflanzen derselben Art und dadurch wiederum zu einer höheren
Bestäubungsleistung der Honigbienen führt. Zwar überschneiden sich die Nahrungsspektren von
Honig- und Wildbienen, aber sie sind nicht identisch. Dieses Prinzip trägt ganz wesentlich zur
Koexistenz verschiedenster Blütenbesucher bei und wiederholt sich vielfach in der Natur mit dem
Ergebnis einer hohen Artenvielfalt.

Ein Beispiel mag verdeutlichen, wie positiv sich Honigbienenhaltung auf Wildbienen auswirken
kann: Am Standort des Bieneninstituts Hohen Neuendorf wird nachweislich seit den 1920er Jahren
Bienenhaltung mit mehreren Dutzend Bienenvölkern betrieben – zunächst vom Eigentümer, dem
Patentanwalt Richard Linde, im Rahmen der vegetarischen Ernährung seiner Familie und Angestellten
– und ab 1952 durch das Bieneninstitut selbst. Zudem verfügt Hohen Neuendorf über einen
ausgesprochen mitgliederstarken Imkerverein mit zahlreichen Nebenerwerbsimkern, der für eine hohe
Honigbienendichte auch in der Umgebung sorgt. In einer Anfang der 1990er Jahre durchgeführten
Bestandserfassung konnten von den deutschlandweit gut 565 Wildbienenarten auf dem 2 ha großen,
bebauten Gelände mit 83 Arten außerordentlich viele nachgewiesen werden. Darunter waren 2 Arten,
die als in der Region ausgestorben galten, 7 als sehr selten und 16 weitere als selten. Dies ist sicher
durch die gute imkerliche Praxis bedingt, Überbesatz mit Bienenvölkern zu vermeiden und die
Entwicklung eines breit gefächerten Nahrungsangebotes zu unterstützen.

Da Honigbienen einerseits durch die Bestäubung verschiedenster Wildpflanzen zur Erhaltung der
heimischen Artenvielfalt ganz erheblich beitragen, andererseits ohne den Imker aber nicht mehr
überlebensfähig sind, ist eine flächendeckende Bienenhaltung notwendig – sowohl in Siedlungs-
gebieten als auch ganz besonders in der freien Landschaft.

Ein in der Vergangenheit wenig beachteter Aspekt ist die Erzeugung von Biomasse durch
Honigbienen – insbesondere als Nahrung für anderes Getier. So erzeugt jedes Bienenvolk ca. 15 kg
Bienen / Jahr und entlässt sie in die Natur. Bei 800.000 Bienenvölkern entspricht das einer Menge von
10.000 – 15.000 Tonnen oder einer Masse von etwa 20.000 Kühen mit einem Gewicht von jeweils 650
kg. Doch wo bleiben sie? Spinnen, Bienenwölfe, Hornissen und andere (Falten-)Wespen bereichern
ihren Speisezettel ebenso durch lebende Bienen wie verschiedenste Vogelarten. Sterbende Bienen
werden von Ameisen, Reptilien und Kleinsäugern verzehrt. Honigbienen-Haltung bereichert also
nicht nur indirekt durch Samen- und Fruchtbildung, sondern auch direkt das Nahrungsangebot und
damit die Entwicklungsmöglichkeiten für eine Vielzahl heimischer Tiere und schließlich ganzer
Nahrungsketten. Der nicht verzehrte Rest verbessert als Humus den Boden … Vermutlich kann sogar
durch eine ausreichende Bienenhaltung im Wald und damit eine bessere Nahrungsversorgung für
Ameisen deren Potential zur biologischen Schädlingsbekämpfung gestärkt werden.
Länderinstitut für Bienenkunde Hohen Neuendorf e.V.

Dr. Jens Radtke
Friedrich-Engels-Str. 32, 16540 Hohen Neuendorf
Tel.: 0 33 03 / 29 38-38, Fax: -40, E-Mail: Jens.Radtke@hu-berlin.de, www.Honigbiene.de
Deutscher Imkerbund e.V., Villiper Hauptstr. 3, 53343 Wachtberg, Tel. +49 (0)228/93 29 20
E-Mail: deutscherimkerbund@t-online.de, Internet: www.deutscherimkerbund.de