Der Imker und sein Vier-Millionen-Volk

Zehlendorfs Bienenflüsterer
Von Anett Kirchner, 05.06.2014 17:16 Uhr, Der Tagesspiegel

[nggallery id=52 template=thickbox]

Benedikt Polazcek hat sein Leben den Bienen gewidmet. Der Agrarwissenschaftler und Bienenforscher arbeitet an der FU Berlin, wo ihn unsere Zehlendorf-Reporterin besucht hat und eine beruhigende Nachricht mitbrachte: „Die Biene ist besser als ihr Ruf“, sagt der Experte.

Mit einem „Smoker“ pumpt Benedikt Polaczek vorsichtig Rauch in eine Bienenwohnung, öffnet die Abdeckung und zieht eine Honigwabe heraus. Die Bienen bleiben friedlich. Einige flitzen über seine Hand, aber das stört nicht. Durch den Rauch glauben die Tiere, dass es brennt und wollen sinnbildlich ihre Sachen packen. „Um die Flucht jedoch nicht hungrig zu ergreifen, schlagen sie sich vorher noch den Bauch mit Honig voll und werden träge“, erklärt der Bienenforscher der Freien Universität Berlin (FU). Ein ruhiges Bienenvolk erleichtert dem Imker seine Arbeit.

Benedikt Polaczek hat sein Leben den Bienen gewidmet. Er ist Imkermeister, promovierter Agrarwissenschaftler und Vorstandsvorsitzender des Zehlendorfer Imkervereins. Kaum ein anderer im Berliner Südwesten hat vermutlich mehr Fachwissen über die kleinen, schwarzgelb gestreiften Honigproduzenten. Benedikt Polaczek ist zugleich auch der Vorsitzende des Landesverbandes der Imker in Berlin.

Sein Telefon steht selten still. Hat mein Bienenvolk eine Krankheit? Wo ist der passende Standort und wo melde ich meine Bienen an? Mit enormer Gelassenheit und spürbarer Leidenschaft für das Fach beantwortet er alle Fragen. Ihm ist wichtig, dass die Imkerei in Berlin nicht „außer Kontrolle“ gerät. In den vergangenen Jahren hat sich eine Bienen-Mode entwickelt, sagt er. Besonders in Steglitz-Zehlendorf seien die Zahlen angestiegen.2007 registrierte der Imkerverein Zehlendorf noch 47 Mitglieder, aktuell sind es 130. Insgesamt gibt es im Bezirk drei Vereine mit etwa 340 registrierten Hobbyimkern. Zum Vergleich: Berlinweit sind es rund 850 Imker.

Der Stadthonig ist beliebt; wegen seiner Vielfältigkeit und Reinheit. Straßenbäume, Friedhöfe, Parks oder Kleingärten bieten hinreichend Blüten zum Nektarsammeln. Außerhalb der Stadt dagegen sorgt die verstärkte Monokultur für Probleme, sagt Polaczek: „Ferner wird in Berlin bei den Pflanzen weniger Chemie als draußen in der Landwirtschaft eingesetzt.“ Er selbst hält privat bis zu elf Bienenvölker an verschiedenen Stellen in Berlin.

Blumenrabatte, Balkon oder auf dem Dach – die Imker der Stadt sind einfallsreich und finden ständig neue Plätze für ihre Bienenvölker. „Ohne fachliche Aufsicht könnten sich die Tiere eines Tages zu streitlustigen Bienen entwickeln“, erklärt er weiter. Man brauche spezifisches Wissen beispielsweise über die Hygiene, die Pflege des Volkes und das Einsetzen einer neuen Königin.

Hierzulande sind die Bienen jedoch brav und fleißig, beruhigt der Experte. In Europa sei vor allem die Art der „Apis mellifera carnica“ verbreitet. Früher jedoch, erinnert sich Polaczek, konnten Imker ihre Arbeit ohne Schutzanzug kaum erledigen. Aggressive Bienen seien aber inzwischen durch Selektion und durch die Haltung der Apis-mellifera–carnica-Biene verdrängt worden.

Früher: Das bedeutet für Benedikt Polaczek seine Heimat in Polen. Er wurde 1957 in einem Dorf nahe Strzelce Opolskie (früher Groß Strehlitz) in Oberschlesien geboren und wuchs in einer Imkerfamilie auf. Sein Vater habe als junger Mann gesundheitliche Probleme mit dem Herzen gehabt; angeblich ein unheilbarer Fall aus medizinischer Sicht. „Der Arzt riet, viel Honig und andere Bienenprodukte zu essen“, erzählt Polaczek. Der Vater wurde 83 Jahre alt.

Schon als Kind half Benedikt Polaczek in der elterlichen Imkerei. 30 Bienenvölker hatten sie seinerzeit. „Ich musste den Smoker halten und habe dabei die Tiere beobachtet“, weiß er noch: So entstand seine Liebe zu den Bienen. „Ich finde sie einmalig, weil sie mit großer Selbstaufopferung einen entscheidenden Beitrag für die Umwelt leisten“, schwärmt er. Nur dank der Bienen gebe es Samen, und nur dank der Samen könnten Pflanzen wachsen.

Nach dem Abitur studierte Polaczek Agrarwissenschaften in Wrosclaw (früher Breslau). Die Bienenforschung ist an den Universitäten in Polen im Bereich der Landwirtschaft angesiedelt; anders als in Deutschland, da gehört sie zur Zoologie. Parallel zum Studium arbeitete er als Imker, machte seinen Meister und wurde Bienensachverständiger.

Bei einem Familienbesuch 1987 in Aachen – Benedikt Polaczek hatte inzwischen selbst Frau und Kind – entschied er sich, mit seiner Familie in Deutschland zu bleiben. Er machte hier einen Sprachkurs in Deutsch und einen Weiterbildungskurs in der Imkerei und bewarb sich auf eine Stelle als Imkermeister am ehemaligen Zoologischen Institut der FU.

Am 1. Mai 1989 begann er mit seiner Arbeit in Berlin-Dahlem, damals noch in der Abteilung Bienenforschung. Heute heißt sie Arbeitsgruppe „NatLab Bienen“ im Fachbereich Biologie, Chemie und Pharmazie.
Im Garten hinter dem Institutsgebäude an der Königin-Luise-Straße im Bezirk Steglitz-Zehlendorf summen mehr Bienen als die ganze Stadt Einwohner hat. Benedikt Polaczek schätzt die Zahl seiner besonderen Einwohner auf etwa vier Millionen.

Hier werden Königinnen gezüchtet, das Verhalten der Bienen, auch von Wespen, Hornissen und Hummeln erforscht und Honig produziert. Es gibt zwei Auszubildende zum Imker und regelmäßig kommen Schulklassen zu Besuch.

Besonders mutige Kinder dürfen hier eine Biene über ihre Hand laufen lassen. Nicht alle finden das lustig; manche haben Angst. „Die Biene ist jedoch besser als ihr Ruf“, verspricht Benedikt Polaczek. Sie sticht nur in der Not.


Die Autorin ist freie Journalistin und lokale Reporterin auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels aus dem Südwesten. Sie wohnt in Steglitz-Zehlendorf