Kritik an Bienenkästen auf Hochhäusern Experte wirft Berliner Imkern Tierquälerei vor

Der Tagesspiegel
05.05.2019

Er kennt sie alle, die viele Arten der Hautflügler in Berlin. Bei Imkern ist Christoph Saure allerdings nur mäßig beliebt.

Von Stefan Jacobs

Mit einer Blauschwarzen Holzbiene könnte Christoph Saure sein Publikum gewiss beeindrucken: zweieinhalb Zentimeter werden die größten heimischen Bienen lang. Dazu sind sie fast so breit wie Hummeln und ihre Flügel schillern so raffiniert blaulila wie manche dieser Angeberautos, die oft auf dem Ku’damm nerven.
Das seit Jahrzehnten in Ruhe gelassene, aber nach einem ökologisch ausgefeilten System mit Pferden beweidete Gelände am südlichen Stadtrand ist laut Saure „eine der artenreichsten Flächen in Berlin, bezogen auf stechende Hautflügler“.

160 Bienen- und 180 Wespenarten

Da staunt der Laie, und Saure ergänzt: „Dort leben 160 Bienen- und 180 Wespenarten. Nur am Fort Hahneberg und im Landschaftspark Adlershof-Johannisthal gibt es noch etwa 20 Bienenarten mehr.“
Als jahrzehntelang erfahrener Bienenguru und Gutachter für Umweltbehörden in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt kennt Saure sie alle. Und die, die er nicht auf Anhieb erkennt, fängt er mit Kescher und Gläschen, um sie in seinem mit holzgerahmten Schaukästen vollgestellten Zehlendorfer Büro zu bestimmen.
Saures Metier ist ein sehr spezielles – aber eines, das ins Blickfeld gerückt ist, seit sich die Bienenfreunde aller Länder vereinigen, von Bayern bis Brandenburg, und in Berlin die Umweltsenatorin die bestäuberfreundliche Stadt ausruft.

Auch deshalb gilt den Wildbienen beim Langen Tag der Stadtnatur in diesem Jahr besondere Aufmerksamkeit.
Das von der Stiftung Naturschutz zusammengestellte Programm ist wie in den Vorjahren fast unüberschaubar. Wer mal nicht (nur) zu Biberburgen und Kräuterwiesen möchte, kann bei Saure ein etwas spezielleres Programm erleben. Und sich an den Thesen des Experten reiben.

Denn während auf der nach oben offenen Knuddelskala die Bienen allmählich zu den Eisbären aufschließen und die Stadtimker als urbane Biobauern gefeiert werden, sieht Saure eine Massentierhaltung, die überhand genommen hat: Die Zahl der Honigbienenvölker habe sich binnen zehn Jahren auf rund 10.000 etwa verdoppelt.

Gefahr von Seuchen

Zur Zeit der Lindenblüte kämen noch einmal so viele Völker von Wanderimkern hinzu. Durch diese Bevölkerungsexplosion steige die Gefahr von Seuchen. Außerdem verringere sich der Honigertrag der Imker, die Nahrung für die Wildbienen werde knapp. Denn die etwa 50.000 Honigbienen pro Volk ernten eben auch die für Wildbienen existenziellen Kräuter ab, statt sich nur an den Linden zu laben.
Weil Honigbienen kilometerweit fliegen, sei die Konkurrenz für ihre meist solitär und ortsfest lebenden wilden Verwandten umso härter. Und Bienenkästen, die auf Hochhausdächern in der Sonne braten, hält Saure für Tierquälerei.

In der wachsenden Gemeinde der Stadtimker ist Saure wegen solcher Aussagen nur mäßig beliebt. Allerdings erkennt er an, dass die Honigbiene sich als Sympathieträgerin eignet, um auf Wildbienen und damit auf das unstrittige Problem des Insektenschwundes aufmerksam zu machen. Wenn Saure mit seinen Gästen durch die Natur in Lichterfelde-Süd streift, werde er realistischerweise höchstens 20 Bienenarten in zwei Stunden zeigen können.

Die meisten Arten seien nur etwa einen Monat unterwegs und auf bestimmte Pflanzen spezialisiert wie etwa die Zahntrost-Sägehornbiene, die nicht vor August startet. Aber Überraschendes sollte sich allemal finden. Ein Aha-Effekt sei ja schon die Kleinheit der meisten Bienenarten: Zwei Drittel seien Winzlinge, die eher geflügelten Ameisen ähneln. Und ein Viertel seien „Kuckucksbienen“, die ihre Eier in fremde Nester legen.
Es wird also reichlich Gelegenheit zum Staunen geben am Tag der Stadtnatur für alle, die sich auch für kleine Dinge und Tiere begeistern können. Die Klassiker, allen voran die naturkundlichen Schiffstouren mit Berlins weltbestem Wildniserklärer Derk Ehlert, sind ohnehin wieder im Programm. Biber an der Spree und Eisvögel am Westhafen sind versprochen, beispielsweise.

Ebenso gut kann man sich auf die Fährte der invasiven Amerikanischen Sumpfkrebse begeben, die als „Tiergarten-Hummer“ Karriere machen und inzwischen mit amtlicher Genehmigung zu Brötchenbelag verarbeitet werden. Und wer über den Tag hinaus profitieren will, kann sich einem Survival-Experten anvertrauen. Man muss nur aufpassen, dass einen keine Hautflügler stechen.

TAG DER STADTNATUR: DAS PROGRAMM

Der 13. Lange Tag der Stadtnatur dauert vom 25. Mai, 15 Uhr, bis 26. Mai, 17 Uhr. Während dieser 26 Stunden werden 529 Führungen und Aktionen an 185 Orten in Berlin angeboten. 172 Veranstaltungen sind laut Stiftung Naturschutz neu. Die Tickets fürs Gesamtprogramm kosten 7 Euro (ermäßigt: 5), der Vorverkauf läuft (online sowie in BVG-Kundenzentren, bei denn’s Biomarkt, Thalia und Weichardt Brot). Für einige Veranstaltungen ist eine Reservierung nötig. Alle Infos zum Programm inklusive Suchfunktionen online unter langertagderstadtnatur.de.

BIENEN UND POLITIKER 

Die Tour mit Christoph Saure ist für den 26. Mai von 12 bis 14 Uhr geplant. An vielen Veranstaltungen nehmen Politiker teil: Acht Bezirksbürgermeister und mehr als 60 Mitglieder des Abgeordnetenhauses haben sich laut Veranstalter angekündigt.

Antwort an Herrn Saure

Hallo Herr Saure,

soeben wurde mir der Tagesspiegelartikel vom gestrigen Tage zugespielt.

Wir kennen uns nun schon eine Weile aus Vorträgen beim IV Zehlendorf und beim BUND. So ist aber Ihre Meinung hinsichtlich der Konkurrenz zwischen Honigbiene und Wildbiene immer die gleiche geblieben. Gerade die Pferdekoppel in Lichterfelde, auf der doch von Ihnen derart viele Wildbienenarten erkannt wurden (z.T. auf der Roten Liste geführte), ist umzingelt von Hogigbienen und deren Imker aus den Vereinen Lichterfelde, Zehlendorf und Steglitz. Den Wildbienen hat das aus meiner Sicht bis heute nicht geschadet und das, obwohl eine Honigbiene einen Sammelradius von bis zu ca. 4,0 km hat. Also würde ich das doch in Zukunft ein wenig entschärft ansehen.
Die Volk-bildende Honigbiene (50.000/Stock) ist auf Massentrachten angewiesen.

Hinsichtlich der Imlerei auf den Dächern der Innenstandt gebe ich Ihnen recht. Da gehören keine Bienen hin, es sei denn, der Imker ist in diesem Gebäude tätig, hat einen windgeschützten Platz zur Verfügung, sichert seine Beuten gegen Sturm und Schnee und kümmert sich im Wochenturnus. Das geschieht leider nicht immer. Gleiches gilt für die Kistenimkerei der Ungeübten aber Unverbesserlichen am Balkonkasten.

Ebenso folge ich Ihnen, dass die Imkerei in den Städten doch wohl auch mit großen Gefahren verbunden ist, wenn die Dichte zu groß wird (z.B. Krankheitsübertragungen wie AfB, Verbreitung von Parasiten). Hinsichtlich der letzten Gefahrn aber besteht für die Solitärbienen kaum ein Risiko.

Damit Sie hier mit einigermaßen gesicherten Zahlen operieren können, gebe ich Ihnen einmal mein Zahlenwerk an die Hand, dass ich aus den Informationen des DIB zusammen gebaut habe. Für Berlin/Brandenburg erhalten Sie noch eine Sonderbetrachtung hinsichtlich der Haupttrachtzeit (Robinien- und Lindenblüte). Hier kommt Berlin schließlich auf eine Bienendichte von ca. 20 Bienenvölker/km². Von einer ausreichenden Bestäuberleistung wird ausgegangen, wenn 3 Völker/km² gemeldet sind. Steht diese Überdimension in der Nähe der ökologischen Biotope, kann es für die Wildbienen eng werden, aber nur dann.

Insofern wäre es gut, Sie würden ein wenig mehr differenzieren.

Mit besten Grüßen

Reinhardt Löwe

Imkerverein Berlin-Zehlendorf und Umgebung e.V.
BUND Berlin-Südwest