Schwänzeltanz mit dem Bienenroboter

Tagesspiegel 29.04.2019, 16:38 Uhr
Von Jennifer Gaschler

Tim Landgraf entschlüsselt das Verhalten der Insekten mithilfe von Künstlicher Intelligenz. In der Urania Berlin erzählte er von seiner Forschung.

„Das Gehirn von Honigbienen ist nur stecknadelkopfgroß – und doch zeigen die Tiere komplexe kognitive Leistungen und haben ein Kommunikationssystem, das Wissenschaftler seit etwa 70 Jahren zu verstehen versuchen“, eröffnete Tim Landgraf seinen Vortrag in der Urania. Der Juniorprofessor für Informatik an der Freien Universität leitet das am Dahlem Center for Machine Learning and Robotics angesiedelte BioRobotik Lab. „Oft brauchen wir Technik, um die Natur noch genauer entschlüsseln zu können.“

Der Vortrag war der zweite der neuen Veranstaltungsreihe „made in Dahlem: Junge Forschung aus der Freien Universität“, eine Kooperation mit der Urania Berlin. „Es ist wichtig, wissenschaftliche Erkenntnisse für alle verständlich zu machen“, betont Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler. So sind die „made in Dahlem“-Vorträge allgemeinverständlich und offen für alle, die Zuhörerinnen und Zuhörer haben auch die Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Ein Roboter ahmte den Schwänzeltanz nach

„Den Weg zu Futterquellen geben Bienen durch den Schwänzeltanz weiter. Sie laufen dabei wiederholt halbkreisförmig und vibrieren mit dem ganzen Körper“, erklärte der Informatikprofessor und umriss die Forschungsgeschichte: Die ersten Erkenntnisse gewann der Zoologe Karl von Frisch, der herausfand, dass die Bewegungen den Winkel widerspiegeln, der sich aus dem Verhältnis zwischen dem Bienenstock, dem Stand der Sonne und der Futterstelle ergibt – aber den Beweis erbrachte erst 60 Jahre später eine Forschergruppe um Randolf Menzel, Neurobiologie-Professor an der Freien Universität und einer der Betreuer von Landgrafs Dissertation. Er ließ das Radarsystem eines Schiffes ausbauen und konnte so den Weg der mit Antennen ausgestatteten Insekten nachverfolgen – und erstaunlich viele fanden nach den Tanzanweisungen die Nahrungsquelle. „Für ein solch kleines Hirn – es hat nur ein Millionstel der Zahl der Neuronen eines Menschen – ist das eine ganz hervorragende Leistung“, sagte Landgraf, voller Begeisterung für sein Fachgebiet.

„Welche Informationen im Tanz sind zentral, welche sind zusätzlich oder überflüssig?“ Das versuchte Landgrafs Team zu beantworten. Aus einem Spülschwamm und Folie bastelten sie eine Art Biene, angebracht wurde diese an einen selbstgebauten Roboter, der die komplexen Drehungen und Vibrationen nachahmte. Nun wurden jeweils „bestimmte Schritte der Choreografie weggelassen oder verstärkt“. Es funktionierte: Einige Bienen verfolgten den robotischen Tanz. Dennoch war sofort erkennbar, dass insgesamt nur wenige Bienen von der schwänzelnden Insektenkopie Notiz nahmen.

Das führte zu einer weiteren Forschungsfrage: „Was bringt eine Sammlerin überhaupt dazu, einer anderen zu ‚lauschen‘?“ Eventuell hänge das mit dem sozialen Netzwerk zusammen, mutmaßten die Wissenschaftler und holten sich ein gesamtes Bienenvolk ins Labor. Alle 2000 Tiere wurden mit kleinen QR-Code-Plättchen bestückt und der Stock rund um die Uhr durch Glasscheiben gefilmt. Nun liegen Daten der Bewegungen und Interaktionen jedes Insekts vom Schlüpf- bis zum Sterbetag vor, auch mehrere Futterquellen waren mit Code-Lesern ausgestattet. Etwa zehn Bienen bildeten eine Sammelgruppe und hörten sich dann auch bevorzugt beim Schwänzeltanz zu. Viele weitere Erkenntnisse seien nun möglich, ohne jedes Jahr erneut mit lebendigen Tieren forschen zu müssen, sagt der Informatiker: „Wir können unseren Fragen jetzt einfach im virtuellen Bienenstock nachgehen.“
Was passiert neuronal, wenn Bienen eine Blumenwiese sehen?

Einen „besonderen Sommerurlaub“ habe Landgraf mit seinem Team im vorigen Jahr verbracht, um zusätzlich herauszufinden, was genau in Bienengehirnen bei der Navigation vorgeht. Dazu wurden die Insekten an einem Quadrokopter befestigt und über ein Feld geflogen. Mit Elektroden untersuchten die Forscher dabei, welche Neuronen aktiv waren, während sich die Tiere den Weg zurück zum Stock merkten. „Wir wollten aber auch ermitteln, was neuronal passiert, wenn die Bienen zum Beispiel einen Baum sehen oder eine ergiebige Blumenwiese.“ Deshalb rekonstruierten die Informatiker die Landschaft dreidimensional, um die Flüge exakt digital nachzuvollziehen. Zurzeit werten sie die Daten aus.

Bienen sind für Tim Landgraf auch eine Inspirationsquelle für Forschung auf einem anderen Gebiet: der Elektromobilität. Sammlerinnen, die erfolglos und hungrig nach Hause kommen, zapfen andere Bienen um Nahrung an. Diese „würgen“ dann schon vertilgten Nektar aus dem Sozialmagen hoch, einem Teil des Verdauungssystems. Übertragen auf Elektroautos hieße das, dass „man diese miteinander vernetzt, damit sich ein Fahrzeug mit geringer Batterieladung während der Fahrt durch ein benachbartes aufladen kann“. Auch das könnte wieder ein neues Projekt für das BioRobotik Lab werden.